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| Johann Wolfgang Goethe |
| Aus dem Nachlaß |
| Aus dem Nachlaß
Über Literatur und Leben
Jede große Idee, die als ein Evangelium in die Welt tritt, wird dem stockenden pedantischen Volke ein Ärgernis und einem Viel-, aber Leichtgebildeten eine Torheit.
Eine jede Idee tritt als ein fremder Gast in die Erscheinung, und wie sie sich zu realisieren beginnt, ist sie kaum von Phantasie und Phantasterei zu unterscheiden. Dies ist es, was man Ideologie im guten und bösen Sinne genannt hat und warum der Ideolog den lebhaft wirkenden praktischen Tagesmenschen so sehr zuwider war. Alle unmittelbare Aufforderung zum Ideellen ist bedenklich, besonders an die Weiblein. Wie es auch sei, umgibt sich der einzelne bedeutende Mann mit einem mehr oder weniger religios-moralisch-ästhetischen Serail. Alle Empiriker streben nach der Idee und können sie in der Mannigfaltigkeit nicht entdecken; alle Theoretiker suchen sie im Mannigfaltigen und können sie darinne nicht auffinden. Beide jedoch finden sich im Leben, in der Tat in der Kunst zusammen, und das ist so oft gesagt; wenige aber verstehen, es zu nutzen. Man kann die Nützlichkeit einer Idee anerkennen und doch nicht recht verstehen, sie vollkommen zu nutzen. Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken, sich vorfühlen: er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er tut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen. Er sieht, daß so vieles vom Zufall abzuhängen scheint: das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird. Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten. Den teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft beseitigt; wir lassen es uns gefallen. Was aber nicht als Beweis gilt, soll uns als Gefühl gelten, und wir rufen daher von der Brontotheologie bis zur Niphotheologie alle dergleichen fromme Bemühungen wieder heran. Sollten wir im Blitz, Donner und Sturm nicht die Nähe einer übergewaltigen Macht, in Blütenduft und lauem Luftsäuseln nicht ein liebevoll sich annäherndes Wesen empfinden dürfen? »Ich glaube einen Gott!« Dies ist ein schönes, löbliches Wort; aber Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erden. Wer die Natur als göttliches Organ leugnen will, der leugne nur gleich alle Offenbarung. »Die Natur verbirgt Gott!« Aber nicht jedem! Kepler sagte: »Mein höchster Wunsch ist, den Gott, den ich im Äußern überall finde, auch innerlich, innerhalb meiner gleichermaßen gewahr zu werden.« Der edle Mann fühlte, sich nicht bewußt, daß eben in dem Augenblicke das Göttliche in ihm mit dem Göttlichen des Universums in genauster Verbindung stand. Gott, wenn wir hoch stehen, ist alles; stehen wir niedrig, so ist er ein Supplement unsrer Armseligkeit. Die Kreatur ist sehr schwach; denn sucht sie etwas, findet sie's nicht. Stark aber ist Gott; denn sucht er die Kreatur, so hat er sie gleich in seiner Hand. Glaube ist Liebe zum Unsichtbaren, Vertrauen aufs Unmögliche, Unwahrscheinliche. Mythologie = Luxe de croyance. Was ist Praedestinatio? Antwort: Gott ist mächtiger und weiser als wir; drum macht er es mit uns nach seinem Gefallen. Das Christentum steht mit dem Judentum in einem weit stärkern Gegensatz als mit dem Heidentum. Die christliche Religion ist eine intentionierte politische Revolution, die, verfehlt, nachher moralisch geworden ist. Es gibt Theologen, die wollten, daß es nur einen einzigen Menschen in der Welt gegeben hätte, den Gott erlöst hätte; denn da hätte es keine Ketzer geben können. »Die Kirche schwächt alles, was sie anrührt.« Apokrypha: Wichtig wäre es, das hierüber historisch schon Bekannte nochmals zusammenzufassen und zu zeigen, daß gerade jene apokryphischen Schriften, mit denen die Gemeinden schon die ersten Jahrhunderte unserer Ära überschwemmt wurden und woran unser Kanon jetzt noch leidet, die eigentliche Ursache sind, warum das Christentum in keinem Momente der politischen und Kirchengeschichte in seiner ganzen Schönheit und Reinheit hervortreten konnte. Die Ohrenbeichte im besten Sinne ist eine fortgesetzte Katechisation der Erwachsnen. In Neuyork, sagt man, finden sich neunzig christliche Kirchen abweichender Konfession, und nun wird diese Stadt besonders seit Eröffnung des Eriekanals überschwenglich reich. Wahrscheinlich ist man der Überzeugung, daß religiose Gedanken und Gefühle, von welcher besondern Art sie auch seien, dem beruhigenden Sonntag angehören, angestrengte Tätigkeit, von frommen Gesinnungen begleitet, den Werkeltagen. Wenn ein gutes Wort eine gute Statt findet, so findet ein frommes Wort gewiß noch eine bessere. Alles kommt bei der Mission darauf an, daß der rohe, sinnliche Mensch gewahr wird, daß es eine Sitte gebe; daß der leidenschaftliche, ungebändigte merkt, daß er Fehler begangen hat, die er sich selbst nicht verzeihen kann. Die erste führt zur Annahme zarter Maximen, das letzte auf Glauben einer Versöhnung. Alles Mittlere von zufällig scheinenden Übeln wird einer weisen, unerforschlichen Führung anheimgegeben. Wo Lampen brennen, gibt's Ölflecken, wo Kerzen brennen, gibt's Schnuppen; die Himmelslichter allein erleuchten rein und ohne Makel. »Vollkommenheit ist die Norm des Himmels, Vollkommenes wollen die Norm des Menschen.« Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt. Der rechtliche Mensch denkt immer, er sei vornehmer und mächtiger, als er ist. Alle Gesetze sind Versuche, sich den Absichten der moralischen Weltordnung im Welt- und Lebenslaufe zu nähern. Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetze. Es ist besser, daß Ungerechtigkeiten geschehn, als daß sie auf eine ungerechte Weise gehoben werden. Nero hätte in den vier Jahren, die das Interregnum dauerte - so nenne ich die Regierungen des Galba, Otho, Vitellius -, nicht so viel Unheil stiften können, als nach seiner Ermordung über die Welt gekommen. Wäre es Gott darum zu tun gewesen, daß die Menschen in der Wahrheit leben und handeln sollten, so hätte er seine Einrichtung anders machen müssen. Man könnte zum Scherze sagen, der Mensch sei ganz aus Fehlern zusammengesetzt, wovon einige der Gesellschaft nützlich, andre schädlich, einige brauchbar, einige unbrauchbar gefunden werden. Von jenen spricht man Gutes: nennt sie Tugenden; von diesen Böses: nennt sie Fehler. Nicht allein das Angeborene, sondern auch das Erworbene ist der Mensch. Unsre Eigenschaften müssen wir kultivieren, nicht unsre Eigenheiten. Charakter im großen und kleinen ist, daß der Mensch demjenigen eine stete Folge gibt, dessen er sich fähig fühlt. Man sieht gleich, wo die zwei notwendigsten Eigenschaften fehlen: Geist und Gewalt. Unsre Meinungen sind nur Supplemente unsrer Existenz. Wie einer denkt, daran kann man sehn, was ihm fehlt. Die leersten Menschen halten sehr viel auf sich, treffliche sind mißtrauisch, der Lasterhafte ist frech, und der Gute ist ängstlich. So setzt sich alles ins Gleichgewicht, jeder will ganz sein oder es vor sich scheinen. Der Augenblick ist eine Art von Publikum: man muß ihn betrügen, daß er glaube, man tue was; dann läßt er uns gewähren und im geheimen fortführen, worüber seine Enkel erstaunen müssen. Der Tag an und für sich ist gar zu miserabel; wenn man nicht ein Lustrum anpackt, so gibt's keine Garbe. Der Tag gehört dem Irrtum und dem Fehler, die Zeitreihe dem Erfolg und dem Gelingen. Wer vorsieht, ist Herr des Tags. Ich verwünsche das Tägliche, weil es immer absurd ist. Nur was wir durch mögliche Anstrengung ihm übergewinnen, läßt sich wohl einmal summieren. Indes wir, dem Ungeheuren unterworfen, kaum aufund umschauen, was zu tun sei und wohin wir unser Bestes von Kräften, Tätigkeiten hinwenden sollen, und des höchsten Enthusiasmus bedürftig sind, der nur nachhalten kann, wenn er nicht empirisch ist, nagen zwar keine Lind-, aber Lumpwürme an unsern Täglichkeiten. Das ganze Leben besteht aus Wollen und Nicht-Vollbringen, Vollbringen und Nicht-Wollen. Wollen und Vollbringen ist nicht der Mühe wert oder verdrießlich, davon zu sprechen. Das Leben vieler Menschen besteht aus Klatschigkeiten, Tägigkeiten, Intrige zu momentaner Wirkung. Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langeweile zu haben, so könnten sie Menschen werden. Dem Klugen kommt das Leben leicht vor, wenn dem Toren schwer, und oft dem Klugen schwer, dem Toren leicht. Es ist besser, eine Torheit pure geschehen zu lassen, als ihr mit einiger Vernunft nachhelfen zu wollen. Die Vernunft verliert ihre Kraft, indem sie sich mit der Torheit vermischt, und die Torheit ihr Naturell, das ihr oft forthilft. Mit Gedanken, die nicht aus der tätigen Natur entsprungen sind und nicht wieder aufs tätige Leben wohltätig hinwirken und so in einem mit dem jedesmaligen Lebenszustand übereinstimmenden mannigfaltigen Wechsel unaufhörlich entstehen und sich auflösen, ist der Welt wenig geholfen. In Rücksicht aufs Praktische ist der unerbittliche Verstand Vernunft, weil der Vernunft Höchstes ist, vis-à-vis des Verstands nämlich, den Verstand unerbittlich zu machen. Falsche Tendenzen sind eine Art realer Sehnsucht, immer noch vorteilhafter als die falsche Tendenz, die sich als ideelle Sehnsucht ausdrückt. Alle praktische Menschen suchen sich die Welt handrecht zu machen; alle Denker wollen sie kopfrecht haben. Wieweit jedem gelingt, mögen sie zusehen. Die Realen: Was nicht geleistet wird, wird nicht verlangt. Die Idealen: Was verlangt wird, ist nicht gleich zu leisten. Im Idealen kommt alles auf die élans, im Realen auf die Beharrlichkeit an. Das Wunderlichste im Leben ist das Vertrauen, daß andre uns führen werden. Haben wir's nicht, so tappen und tolpen wir unsern eignen Weg hin; haben wir's, so sind wir auch, eh wir's uns versehen, auf das schlechteste geführt. Die ungeheuerste Kultur, die der Mensch sich geben kann, ist die Überzeugung, daß die andern nicht nach ihm fragen. Wer hätte mit mir Geduld haben sollen, wenn ich's nicht gehabt hätte? Die Menschen glauben, daß man sich mit ihnen abgeben müsse, da man sich mit sich selbst nicht abgibt. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, ein oft versengter Greis scheut, sich zu wärmen. Wie viel vermag nicht die Übung! Die Zuschauer schreien, und der Geschlagne schweigt. Welcher Gewinn wäre es fürs Leben, wenn man dies früher gewahr würde, zeitig erführe, daß man mit seiner Schönen nie besser steht, als wenn man seinen Rivalen lobt. Alsdann geht ihr das Herz auf, jede Sorge, euch zu verletzen, die Furcht, euch zu verlieren, ist verschwunden; sie macht euch zum Vertrauten, und ihr überzeugt euch mit Freuden, daß ihr es seid, dem die Frucht des Baumes gehört, wenn ihr guten Humor genug habt, anderen die abfallenden Blätter zu überlassen. Wenn mir eine Sache mißfällt, so laß ich sie liegen oder mache sie besser. Wer in sich recht ernstlich hinabsteigt, wird sich immer nur als Hälfte finden; er fasse nachher ein Mädchen oder eine Welt, um sich zum Ganzen zu konstituieren, das ist einerlei. Weiß denn der Sperling, wie dem Storch zumute sei? Der Tiger, der dem Hirsch begreiflich machen will, wie köstlich es ist, Blut zu schlürfen. Gesunde Menschen sind die, in deren Leibes- und Geistesorganisation jeder Teil eine vita propria hat. Daß man gerade nur denkt, wenn man das, worüber man denkt, nicht ausdenken kann! Wenn weise Männer nicht irrten, müßten die Narren verzweifeln. Manche sind auf das, was sie wissen, stolz, gegen das, was sie nicht wissen, hoffärtig. Wer sich in ein Wissen einlassen soll, muß betrogen werden oder sich selbst betrügen, wenn äußere Nötigungen ihn nicht unwiderstehlich bestimmen. Wer würde ein Arzt werden, wenn er alle Unbilden auf einmal vor sich sähe, die seiner warten? Der Historiker kann und braucht nicht alles aufs Gewisse zu führen; wissen doch die Mathematiker auch nicht zu erklären, warum der Komet von 1770, der in fünf oder eilf Jahren wiederkommen sollte, sich zur bestimmten Zeit noch nicht wieder hat sehen lassen. Es ist mit der Geschichte wie mit der Natur, wie mit allem Profunden, es sei vergangen, gegenwärtig oder zukünftig: je tiefer man ernstlich eindringt, desto schwierigere Probleme tun sich hervor. Wer sie nicht fürchtet, sondern kühn darauf losgeht, fühlt sich, indem er weiter gedeiht, höher gebildet und behaglicher. Die Geschichte wie das Universum, das sie repräsentieren soll, hat einen realen und idealen Teil. Zum idealen Teile gehört der Kredit, zum realen Besitztum, physische Macht pp. Der Kredit ist eine durch reale Leistungen erzeugte Idee der Zuverlässigkeit. Jeder Besitz ist eine plumpe Sache, und es ist gut, daß darüber abgesprochen werde, ne incerta sint rerum dominia. Jeder Mensch fühlt sich privilegiert. Diesem Gefühl widerspricht 1. die Naturnotwendigkeit, 2. die Gesellschaft. ad 1. Der Mensch kann ihr nicht entgehen, nicht ausweichen, nichts abgewinnen. Nur kann er durch Diät sich fügen und ihr nicht vorgreifen. ad 2. Der Mensch kann ihr nicht entgehen, nicht ausweichen; aber er kann ihr abgewinnen, daß sie ihn ihre Vorteile mitgenießen läßt, wenn er seinem Privilegiengefühl entsagt. Der höchste Zweck der Gesellschaft ist Konsequenz der Vorteile, jedem gesichert. Jeder einzelne Vernünftige opfert schon der Konsequenz vieles auf, geschweige die Gesellschaft. Über diese Konsequenz geht fast der momentane Vorteil der Glieder zugrunde. In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, daß ich mich subordinieren mag, bringe ich mit. Die Gesellschaft, in die ich trete, muß also zu mir sagen: »Du sollst allen uns andern gleich sein.« Sie kann aber nur hinzufügen: »Wir wünschen, daß du auch frei sein mögest«, das heißt: Wir wünschen, daß du dich mit Überzeugung, aus freiem, vernünftigem Willen deiner Privilegien begibst. Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans. Eingebildete Gleichheit: das erste Mittel, die Ungleichheit zu zeigen. Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Geetz- und Schamlosigkeit. (Pikarden, Wiedertäufer, Sansculotten.) Die Modernen sollen nur Lateinisch schreiben, wenn sie aus nichts etwas zu machen haben. Umgekehrt machen sie ihr weniges Etwas immer zu nichts. Die lateinische Sprache hat eine Art von Imperativus der Autorschaft. Zu den glücklichen Umständen, welche Shakespeares gebornes großes Talent frei und rein entwickelten, gehört auch, daß er Protestant war; er hätte sonst wie Kalidasa und Calderón Absurditäten verherrlichen müssen. »Heinrich der Vierte« von Shakespeare: Wenn alles verloren wäre, was je, dieser Art geschrieben, zu uns gekommen, so könnte man Poesie und Rhetorik daraus vollkommen wiederherstellen. Um die alten, abgeschmacktesten locos communes der Menschheit durchzupeitschen, hat Klopstock Himmel und Hölle, Sonne, Mond und Sterne Zeit und Ewigkeit, Gott und Teufel aufgeboten. Schmidt von Werneuchen ist der wahre Charakter der Natürlichkeit. Jedermann hat sich über ihn lustig gemacht, und das mit Recht; und doch hätte man sich über ihn nicht lustig machen können, wenn er nicht als Poet wirkliches Verdienst hätte, das wir an ihm zu ehren haben. »Eulenspiegel«: Alle Hauptspäße des Buchs beruhen darauf, daß alle Menschen figürlich sprechen und Eulenspiegel es eigentlich nimmt. Märchen: das uns unmögliche Begebenheiten unter möglichen oder unmöglichen Bedingungen als möglich darstellt. Roman: der uns mögliche Begebenheiten unter unmöglichen oder beinahe unmöglichen Bedingungen als wirklich darstellt. Der Romanenheld assimiliert sich alles; der Theaterheld muß nichts Ähnliches in allem dem finden, was ihn umgibt. Einen wundersamen Anblick geben des Aristoteles Fragmente des Traktats über Dichtkunst. Wenn man das Theater in- und auswendig kennt wie unsereiner, der einen bedeutenden Teil des Lebens auf diese Kunst verwendet und selbst viel darin gearbeitet hat, so sieht man erst, daß man sich vor allen Dingen mit der philosophischen Denkart des Mannes bekannt machen müßte, um zu begreifen, wie er diese Kunsterscheinung angesehen habe; außerdem verwirrt unser Studium nur, wie denn die moderne Poetik das Alleräußerlichste seiner Lehre nur zu ihrem Verderben anwendet und angewendet hat. Des tragischen Dichters Aufgabe und Tun ist nichts anders, als ein psychisch-sittliches Phänomen, in einem faßlichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen. Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phänomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden und die der Dichter nur als historische nachweist. Ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfang der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhaft-klare Einbildungskraft vorgetragen werden. Es ist nichts theatralisch, was nicht für die Augen symbolisch wäre. Die gewöhnlichen Theaterkritiken sind unbarmherzige Sündenregister, die ein böser Geist vorwurfsweise den armen Schächern vorhält ohne hülfreiche Hand zu einem bessern Wege. Eine Romanze ist kein Prozeß, wo ein Definitivurteil sein muß. Beim Übersetzen muß man bis ans Unübersetzliche herangehen; alsdann wird man aber erst die fremde Nation und die fremde Sprache gewahr. Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zu Genuß und Belebung oder zu Erkenntnis und Belehrung. Es gibt Bücher, durch welche man alles erfährt und doch zuletzt von der Sache nichts begreift. Wenn einem Autor ein Lexikon nachkommen kann, so taugt er nichts. Ich denke immer, wenn ich einen Druckfehler sehe, es sei etwas Neues erfunden. Verleger haben die Autoren und sich selbst für vogelfrei erklärt; wie wollen sie untereinander, wer will mit ihnen rechten? Die Sehnsucht, die nach außen, in die Ferne strebt, sich aber melodisch in sich selbst beschränkt, erzeugt den Minor. Kantilene: die Fülle der Liebe und jedes leidenschaftlichen Glücks verewigend.
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